Eckart
von Hirschhausen und Aktivistin Luisa Neubauer bei der "Fridays for
Future"-Demonstration in Berlin.
Tages-Spiegel vom 21.3.2019
Tages-Spiegel vom 21.3.2019
Herr
Hirschhausen, Sie sind nicht nur erfolgreicher Comedian und Moderator, sondern
auch Arzt. Welche Diagnose geben Sie der Erde?
Die Erde hat Fieber und das Fieber steigt. Sie gehört auf die
Intensivstation. Sie hat „Multiorganversagen“, wenn man die Symptome
zusammenzählt, und das ist ein echter Notfall. Die Lunge im Amazonas wird
abgeholzt, der Jetstream-Kreislauf bricht zusammen, die Meere sind verstopft
mit Plastik und können bald keine Wärme mehr aufnehmen. Die Erde hat eine
schwere Infektion mit Homo sapiens und anderen Rindviechern.
Kohleausstieg,
Klimawandel, Sektorkopplung: Das Briefing für den Energie- und Klimasektor. Für
Entscheider & Experten aus Wirtschaft, Politik, Verbänden, Wissenschaft und
NGO.
Welche
Behandlung schlagen Sie vor?
Müll sortieren wird nicht reichen. Die Behandlung muss an mehreren
Bereichen ansetzen, wie Energieerzeugung, Mobilität und Ernährung. 100 Prozent
erneuerbare Energie ist in Deutschland technisch möglich, ökonomisch sinnvoll
und erst recht ökologisch geboten. Es gibt die Lösungen längst, es fehlt der
politische Wille, sie umzusetzen. Und aus Angst um die 20.000 Arbeitsplätze in
der veralteten und desaströsen Kohle wird ein Eiertanz aufgeführt, statt dass
wir über die Zukunftschancen sprechen, die wir gerade verspielen.
Wie
könnte man Klimaschutz sexy machen?
Nicht nur für Politiker, sondern für jeden Menschen?
Wenn die Menschen wissen, was sie tun, und was sie anrichten, verhalten
sie sich anders. Weniger Fleisch zu essen ist sinnvoll, weil wir die Erde
zugrunde richten mit Ackerflächen, die für Futtermittel gerodet werden, und und
und – alles bekannt, aber wir erleben das nirgends. Es bleibt so herrlich
abstrakt, dass für eine Kalorie aus Fleisch, 20 Kalorien erstmal verfüttert
werden müssen und die lösen sich ja nicht in Luft auf, sondern in Klimagasen –
als Rülpse, Pupse und Fäkalien – um mal deutlich zu werden. Wie wäre es, wenn
man ein Kilo Fleisch im Supermarkt kauft und an der Kasse dazu dann automatisch
einen 20 Liter Eimer Gülle mit ausgehändigt bekommt. „So, Herr von
Hirschhausen, das gibt es ab heute nur noch im Doppelpack, das haben sie mit
eingekauft, brauchen Sie einen Deckel oder geht das so mit? Viel Spaß beim
Grillen!“
...
oder einem vergeht sowieso schon die Lust auf Fleisch. Was sind sonst konkrete
Dinge, die jeder sofort umsetzen kann?
Man könnte sich einen Pulli anziehen statt die Heizung aufzudrehen,
möglichst viel mit dem Fahrrad fahren und die eigene Ernährung umstellen.
Außerdem sollten wir aufhören, ein Drittel der Lebensmittelproduktion
wegzuwerfen. Weltweit sind rund zwei Milliarden Menschen übergewichtig und eine
Milliarde mangelernährt. Das ist doch absurd. Die einen hungern, die anderen
sind auf Diät, und beiden Gruppen könnte es gesundheitlich viel besser gehen.
Die Idee einer „Planetary health Diet“ verbindet das, was dem Körper guttut,
mit dem, was dem Planeten gut tut. Und das ist vor allem weniger Fleisch,
weniger Zucker und Milchprodukte, mehr Gemüse. Das kann man den Menschen nicht
,vorschreiben‘, aber ,verschreiben‘. Denn es kann Millionen Herzinfarkte und
Schlaganfälle, praktisch alle großen Zivilisationskrankheiten, verhindern, wenn
wir uns mehr bewegen und weniger Übergewicht anhäufen. Wir müssen viel mehr
betonen, welche Vorteile wir selber haben, wenn wir für den Klimaschutz
handeln. Wir brauchen den positiven Spirit. Es gibt keinen Plan B, weil es
keine Erde B gibt. Aber bei den Veränderungen geht es langfristig um einen
Zugewinn an Lebensqualität.
Was
würden passieren, wenn wir heute nicht handeln?
Wir zerstören massiv unsere Umwelt, und machen damit immer weiter; es
wird fraglich, ob nachfolgende Generationen auf unserer Erde noch leben können.
Es wird Kriege geben, um Wasser und um andere Ressourcen. Wir müssen umdenken,
und zwar kollektiv. „Nach mir die Sintflut“ ist die falsche Einstellung. Dass
die Hitze schlimmer wird, hat schon jetzt konkrete Folgen, weltweit, aber auch
hier. Ältere Leute sterben, weil sie den Kreislaufbelastungen nicht standhalten
können. Dann werden sich zahlreiche tropische Infektionskrankheiten ausbreiten
und zurück nach Deutschland kommen: Malaria, Dengue-Fieber oder Gelbfieber zum
Beispiel. Die asiatische Tigermücke siedelt sich gerade in Heidelberg und
Freiburg an. Da die Winter milder und kürzer werden, werden auch Allergien
extremer. Alles nicht lustig.
Sie
sind in so vielen Stiftungen und Projekten engagiert. Ist da überhaupt Zeit für
den Klimaschutz? Wo liegt Ihre Priorität?
Der Zusammenhang von Klimakrise und Gesundheit hat meine persönliche
Priorität. Ich habe erst vor gut einem Jahr realisiert, welche Dimension das
eigentlich hat. Dabei steht das schon seit vielen Jahren in internationalen, führenden
medizinischen Fachzeitschriften wie dem „Lancet Climate Count Down“ oder
„Nature Climate change“.
Was
haben Sie denn vor einem Jahr genau erlebt?
Ich habe Jane Goodall für ein Interview beim Deutschen
Nachhaltigkeitspreis getroffen, und diese Dame von über 80 Jahren ist eine der
charismatischsten Menschen, denen ich je begegnet bin. Sie ging als junge Frau
in den Dschungel und revolutionierte unser Bewusstsein für Menschenaffen. Sie
stellte mir eine zentrale Frage: Wenn der Mensch die intelligenteste Art auf
dem Planeten ist – warum zerstört er dann sein eigenes Zuhause?
Und
was haben Sie geantwortet?
Ich habe erst dreimal schlucken müssen, weil es ja tatsächlich so absurd
ist, dass wir die einzige Art sind, die in die Zukunft schauen können und alles
daran setzen, da nicht hinzugucken! Stattdessen kaufen wir uns Zeug, was wir
nicht brauchen, von Geld und Ressourcen der künftigen Generationen, um Leute zu
beeindrucken, die wir nicht mögen.
Sie
sind in Deutschland für Ihren Humor bekannt. Kann man diese ernste Situation
noch mit Humor nehmen?
Ja, kann man. Ich habe letztens einen Facebook-Post gemacht, dass ich
lieber die Abgase von Fahrradfahrern als von Autofahrern einatme. Das merkt man
sich, und das kommt an. Nicht bei allen, aber das ist mir auch klar, dass es
Abwehr-Reflexe gibt.
Abgesehen
von humorvollen Facebook- Posts unterstützen Sie den Klimaschutz auch mit
der Vereinigung Scientists for Future.
Vergangene Woche haben Sie im Namen von 23 000 Wissenschaftlern in Berlin die
„Fridays for Future“-Demonstration begleitet. Was sagen Sie zu der Kritik, dass
die Schüler doch in die Schule gehen und stattdessen am Samstag streiken
sollten?
Ich finde es Quatsch, den Schülern zu unterstellen, dass sie alle
schwänzen wollen. Die, die ich erlebt habe, denen geht es wirklich um was.
Piloten streiken ja auch nicht in ihrer Freizeit.
Waren
Sie selbst in dem Alter schon auf Streiks oder anders politisch aktiv?
Ja. Ich war in dem Alter sehr friedensbewegt, in der Kirchengemeinde
aktiv und habe auch in Wackersdorf am Zaun gestanden und nach Tschernobyl für
den Ausstieg aus der Atomenergie demonstriert. Hat ja auch geklappt – mit etwas
Geduld.
Wird
es Scientists for Future auch nach der Unterschriftenaktion geben?
Wir sind überwältigt von dem Zulauf und
der Unterstützung. Der nächste Schritt werden Regionalgruppen sein.
Da werden wir dranbleiben. Es gibt auch schon die Gruppe Allianz Klimawandel
und Gesundheit, mit der ich im engen Austausch bin. Und die Charité und das
Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung richten gerade eine Professur für
das Thema ein. Es passiert endlich etwas!
Wie
setzen Sie sich persönlich für Klimaschutz ein? Haben Sie schon auf Ökostrom
umgestellt?
Ja klar, schon vor mehr als zehn Jahren.
Fliegen
Sie noch?
Ich bin Bahnfahrer. Aber gelegentlich fliege ich noch. Privat fahre ich
auch einen VW-Diesel. Kein Mensch muss perfekt sein, um seine Stimme erheben zu
dürfen.
Zahlen
Sie dann zumindest für jeden Flug einen CO2-Ausgleich?
Natürlich. Ich bin auch Botschafter von Atmosfair. Ich fände es wichtig,
dass man bei Suchmaschinen, wenn man einen billigen Urlaubsflug sucht, neben
der Kostenaufstellung noch eine CO2-Angabe bekommt. Wenn ich sehe, dass ein
Flug bei gleichem Preis eine höhere Bilanz hat, wäre es ein gutes Kriterium,
den zu nehmen, der weniger schadet. Eine Studie hat gezeigt, dass Menschen sich
beim Lebensmittelkauf anders entscheiden, wenn sie wissen, wie viel
Kohlendioxid dort drinsteckt. Wenn ich eine Fleischsuppe statt einer
Gemüsesuppe kaufen will, die aber eine zehn Mal schlechtere CO2-Bilanz hat, überlege
ich mir nochmal, ob sie wirklich zehnmal so gut schmeckt.